Artificial Soundscapes
Die Klangkompositionen des Zyklus Artificial Soundscapes versuchen, jenseits von traditionellen Kategorien und Begriffen, wie z.B. auf der einen Seite der des autonomen Kunstwerks und der absoluten (Kunst)musik sowie auf der anderen Seite der der reinen Geräuschcollage/-montage bis hin zum Sounddesign einer funktionablen Ambientemusik, im „Dazwischen“, eine Klangkunst zu etablieren, welche auf radikale Weise versucht – unter ausschließlicher Verwendung von Original-Klangmaterialien der drei Klangkategorien: Natur, Tier und Mensch – bei kontinuierlicher Molekularisierung und Transformierung des realen Klanges, multilineare, artifizielle KlangGefüge zu erzeugen, die aus ihrer eigenen Mitte, in Selbstintensivierungsschleifen eigendynamisch vibrierende Klangenergien, quasi Intensitätsströme von GeräuschKlangPartikeln freisetzen, um entsubjektivierte Ausdrucksmaterien und Affektketten zu heterogenen Klang-Milieus mannigfaltigster Art amalgamieren zu lassen eigendynamisch vibrierende Klangenergien, quasi Intensitätsströme von GeräuschKlangPartikeln freisetzen, um entsubjektivierte Ausdrucksmaterien und Affektketten zu heterogenen Klang-Milieus mannigfaltigster Art amalgamieren zu lassen.
Die quasi aus den drei Grundkomponenten (Natur, Tier und Mensch) zusammengeschmolzenen temporären Klangblöcke mit ihren zirkulären Segmentaritäten und kontinuierlich oszillierenden Intensitätsschichten repräsentieren unterschiedlichste Intensitätszonen des kontinuierlich fluktuierenden „KlangWerdens“ von Natur, Tier und Mensch.
Die Klangelemente sind ausschließlich „natürlichen“ Ursprungs (also z.B. keine Maschinengeräusche oder instrumentale oder synthetische Klänge!). Der artifizielle Aspekt der Klangkompositionen manifestiert sich nur in der digitalen „Bearbeitung“ sämtlicher Parameter der verwendeten organischen Klangquellen.
Künstlich an diesen Klangkompositionen sind nicht ihre Klangkomponenten sondern nur ihre Transformationen!
Die Heterogene zwischen Realität und virtueller Realität funktionieren in einer symbiotischen Mannigfaltigkeit und Verschmelzung, die sich in ein „Werden von Übergängen“ mit beweglichen Rändern verwandelt. Diese wiederum knüpfen ein Netz, welches sich über ein amorphes Kontinuum erstreckt, um damit eine ungreifbare Atmosphäre zu schaffen, in der ungeformte Materialien „umhertanzen“, die sich vor allem durch ihre Geschwindigkeit und räumlichen Bewegung unterscheiden und je nach ihren Verbindungen oder Bewegungsverhältnissen, in dieses oder jenes interaktive, individuierte KlangGefüge eingehen.
Aus dem „Chaos“ werden organische KlangMilieus geformt, vibrierende Klangblöcke aus Raum und Zeit, die durch permanent variierte, periodische Wiederholung der Komponenten gebildet werden. Natur, Tier und Mensch bilden ein inneres Milieu aus zusammensetzenden Elementen und zusammengesetzten Substanzen. Die einzelnen, vorgefundenen Klangereignisse werden selbst zu Oszillatoren, welche wiederum zu Interaktionskräften werden, um Affekte, Ausdrucksmaterien, Fließkräfte, Verhältnisse von Schnelligkeit/Langsamkeit, verschiedene Dichtegrade oder Räumlichkeiten fluktuieren zu lassen.
Die Klangmaterie hört auf, eine Inhaltsmaterie zu sein, um zu einer Ausdrucksmaterie zu werden!
Die „reine“ Ausdrucksmaterie schafft durch ein frei flottierendes, variables und komplexes Kontrapunkte/Kontralinien-System einen transversalen, beweglichen Klangblock zwischen Geräusch, Klang und Ton im multilinearen Gefüge der horizontalen Klanglinien (wie Frequenz, Rhythmus etc.) und der vertikalen Klangräume (wie Resonanz, Klangfarbe etc.). Es bilden sich horizontale Schichten und vertikale Schnitte.
Kleine ritornellartige Motive (Loops!) beziehen sich nicht mehr auf sich selbst oder auf eine Landschaft, einen Vogel oder ein Kind, sondern enthalten und entwickeln in sich Landschaften bzw. Vögel oder Kinder, die so real nicht existieren. Virtuelle Klanglandschaften werden von transformierten, rhythmischen Klangfiguren bevölkert, die dann entstehen, wenn man nicht mehr die einfache Situation eines Rhythmus vor sich hat, der z.B. mit einem Naturelement, einem Tier, einem bestimmten Menschen, einer Melodie oder einem Impuls verbunden ist. Jetzt ist der Rhythmus selber die ganze Figur und kann daher konstant bleiben, aber auch zu- oder abnehmen und zwar durch ein Hinzufügen oder Wegnehmen einzelner Komponenten, durch zu- oder abnehmende Dauern oder durch Verstärkung oder Abschwächung der Dynamik.
Die Klanglandschaft erscheint als Ensemble von Ausdrucksmaterien im geschichteten Klangsystem der rhythmischen Figur mit „unendlichen“ Transformationen.
Das Natur-Tier-Mensch-Werden der „Musik“ gelingt in dem Maße, wie die Natur bzw. das Tier oder der Mensch dabei ist, etwas anderes zu werden:
„reine“ Linie, „reiner“ Klang, „reine“ Farbe, „reine“ Bewegung, „reiner“ Rhythmus, „reiner“ Zustand etc.
Wie kann man nun aber das vorgefundene und über Jahre hinweg gesammelte, sorgsam gesichtete und ausgesuchte, heterogene „O-Tonmaterial“ konsistent machen, damit es unhörbare/undenkbare Kräfte und virtuelle Energien freisetzen und zum Klingen bringen kann? Ich glaube, daß vor allem zwei Verfahrensweisen im Vordergrund stehen und hier etwas näher beschrieben werden sollen: die Molekularisierung und die Transformierung.
Die Molekularisierung geschieht vor allem mittels eines digitalen Klangprozessors, dem Sampler, der u.a. wie ein Hochleistungsmikroskop die molekulare Binnenstruktur des Klanges hörbar und – in einem vorher nie gekannten Ausmaß und dies erst seit ca. 15 Jahren! – für die künstlerische Arbeit verfügbar macht. Die in ihrer Auswirkung heute noch nicht abschätzbare „Revolution“ auf dem Gebiet der elektroakustischen Musik, die durch den künstlerischen Einsatz des Samplers ausgelöst werden könnte, steht uns, meiner Meinung nach, erst noch bevor. Wir stehen vielleicht erst am Anfang einer Entwicklung, in der die künstlerisch transformierte, molekulare Binnenstruktur des „natürlichen“ Klanges uns die sog. „Wahrheit“ hören läßt, daß (vielleicht) alle Arten des Werdens molekular sind.
Das Molekulare ist imstande, das Elementare und das Kosmische miteinander kommunizieren zu lassen – gerade weil es eine Auflösung der Form bewirkt, die die unterschiedlichsten Längen- und Breitengrade, die verschiedensten Schnelligkeiten und Langsamkeiten miteinander in Verbindung bringt und ein Klangkontinuum sicherstellt, weil es die Variation weit über seine formalen Grenzen hinaus ausdehnt.
Statt von Form in dieser Klangkunst sollte man lieber von der Konsistenz der vom Klangkünstler im wahrsten Sinne des Wortes komponierten – zusammengestellten, oder noch besser, zusammengesetzten – KlangMilieus sprechen. Wie ist die Konsistenz, der Zusammenhang, der einzelnen vom Künstler artifiziell arrangierten KlangMoleküle beschaffen – ja, wie ist der innere Zusammenhalt der KlangGefüge untereinander?
Ein Formplan sollte durch einen Konsistenzplan ersetzt werden!
Die Transformation der molekularisierten Klänge besorgen, neben dem Sampler, vor allem die sog. digitalen Effektprozessoren, die insbesondere für die Umwandlung der Inhaltsmaterie in eine reine Ausdrucksmaterie mittels Transcodierung ihrer herkömmlichen Klangcharakteristika und inhaltlichen Bedeutungen verantwortlich sind. Dies geschieht vor allem durch mannigfaltigste und permanente Transformationsprozesse der üblichen „WoWieWann-Parameter“ (wie z.B. Frequenz, Amplitude, Klangfarbe, Dauer und Ort des Klanges) zur Erzeugung von artifiziellen Tonlinien und Klangfiguren über mutierte Klangfarben und Klangrhythmen bis hin zu virtuellen Resonanzen und Klangräumen.
Durch permanente Vermischung der Original-Tonmaterialien mit ihren aus ihnen selbst erzeugten „Quasi-Mutationen“, werden neue Regionen kontinuierlicher Energie- und Intensitätsströme evoziert, die jenseits von purer Natürlichkeit oder reiner Abstraktion künstliche Kombinationsmischungen kreieren, welche nur in solch spezifischen ZwischenMilieus gedeihen können.
In der Mikrostruktur dynamisch und der Makrostruktur statisch wirkende Klangräume mit variablen, artifiziellen „Schwärmen von Klängen“ und heterogen-organischem „Gewimmel von Geräuschen“ bilden eine gewaltige Konsistenzebene, die mit unterschiedlichen Variablen der Geschwindigkeit unablässig Formen, Funktionen, Figuren und Elemente mitreißt, um Partikel und Affekte aus ihnen herauszulösen, um durch deren Vermischung transversale, dynamische Klangblöcke zwischen Geräusch, Klang und Ton zu bilden.
Die digitalen Klangprozessoren erzeugen in eigendynamischen Selbstintensivierungsschleifen permanente Klangmutationen, die vom Klangkünstler zu einem virtuellen organlosen Klangkörper geformt werden, in dem die Klang- und Effektprozessoren als abstrakte Maschinen die idealen Klanginstrumente und somit die kongenialen Partner des visionären Klangkünstlers darstellen. Die abstrakte Maschine repräsentiert so etwas wie ein Komplex von Schnittstellen, die in ein organisches Gefüge wie z.B. Wasser, Insekt oder Frauenstimme eindringen um dessen Variationen aufzuzeichnen, zu molekularisieren und zu transformieren.
Die Klang- und Effektprozessoren können u.a. durch sog. „Soundmorphing-Prozesse“ das Gefüge einer Art auch für Gefüge öffnen, die zwischen den Arten liegen. Wasserblubbern kann so zu abstrakt rhythmisierten Klangfiguren vermeintlich perkussiver Vokalklänge mutieren oder Insektenzirpen sich in matrixartige KlangFarbenRhythmusGitter verwandeln, die wiederum ihrerseits als akustisches Koordinatennetz für stark transformierte Vogelgesänge dienen. Die Klang- und Effektprozessoren können aber auch ein Gefüge abschließen und in sich kreisen lassen, oder auch über alle Gefüge hinausgehen, um eine Öffnung zum Kosmos zu produzieren, in dem befreite Klangatome, unter quasi „chemischen“ Bedingungen der Aktion – Reaktion, losgelassene Moleküle auf virtuellen Fluchtlinien frei rotieren lassen.
Bei all diesen Klangprozeduren wird die neueste Digitaltechnologie jedoch nicht zur eigentlichen Klangproduktion an sich benutzt und, um mit einem Begriff der Ökologie zu sprechen, künstliche und nur schwer oder gar nicht „abbaubare“ Klangelemente herzustellen – die ja oft genug nur einen weiteren Beitrag zur weltweiten akustischen „Umweltverschmutzung“ darstellen – sondern, die nach äußerst kritischer Prüfung für die künstlerische Arbeit ausgewählten neuesten technologischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Musik dienen hier dem Klangkünstler zur analytischen Sichtung und Untersuchung von vorgefundenen organischen Klangmaterialien, um deren eigendynamische Werdensprozesse und molekulare Binnenstrukturen aufzuzeichnen, zu studieren und für die künstlerische Arbeit verfügbar zu machen.
Gerade mit der Hilfe digitaler Computertechnologie kann es dem Künstler mit seinen Klangkompositionen hoffentlich gelingen auf der „Schnittstelle“ Mensch-Natur ein akustisch visionäres Zwischenplateau zu evozieren, welches in den gelungensten Momenten im Hörer dieser Klangkunst jenen, um mit Bloch zu sprechen, „utopischen Funken“ zu entzünden, der vielleicht ein positives Antizipationsmodell für das Verhältnis Mensch-Natur-Technik, zumindest akustisch, imaginiert.
Joachim Krebs
April 1997
*) Viele Termini und Denkweisen dieses Textes sind stark beeinflußt oder wurden direkt von den Schriften des französischen Philosophen Gilles Deleuze übernommen und im besten „rhizomatischen“ Sinne in neue Zusammenhänge gestellt. Auch in den Klangkompositionen des Projektes Artificial Soundscapes ist die „Gedanken-Aura“ von Deleuze in mannigfaltigster Weise präsent, und die „Musik“ hat ihr viele Inspirationen zu verdanken, weshalb das gesamte Projekt Artificial Soundscapes diesem großartigen und visionären Denker von Herzen gewidmet ist.
Jede Klangkomposition des Zyklus Artificial Soundscapes existiert in zwei Versionen:
- als Stereofassung für CD, Video, Rundfunksendung etc.
- als mehrkanalige RaumklangInstallation für Aufführung, Live-Performance, Multi-Media-Projekte etc. Hierbei kommt das – in Zusammenarbeit mit der Komponistin und Medienkünstlerin Sabine Schäfer und dem Informatiker Sukandar Kartadinata – exklusiv entwickelte computergesteuerte Raumklangsteuerungssystem Topoph 40D zum Einsatz, mit dem der Klang real dreidimensional im Raum bewegt wird.